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Kurzgeschichte


Quarzstrahlung

Von D. Drahtlos

(Es grenzt fast schon an ein Wunder, dass Dietrich Drahtlos höchstselbst hier zu Worte kommt. Der allgemeine Aufruf, über Spuren des Ingenieurs zu berichten, hat erfreulicherweise dazu geführt, dass uns die Kopie eines Briefes erreichte, den Drahtlos vor langer Zeit an einen Freund geschrieben hat. Dieser Brief wurde von einem unserer Leser im Nachlass seines verstorbenen Onkels gefunden und wäre wohl ohne Beachtung geblieben, wenn nicht in jüngster Zeit die Erinnerung an Drahtlos allgemein wieder stärker erwacht wäre.)

Lieber Paul,

unser Gespräch am gestrigen Abend geht mir nicht aus dem Sinn. Als dieser Wünschelrutenjünger an unseren Tisch kam, hatte ich zunächst gehofft, er würde sich schnell wieder verziehen. Aber dann ging die alte Diskussion wieder los, die ich schon so oft geführt habe. Wasseradern hier, Erdstrahlen da, und was das eigentlich sein soll, sagt der Kerl nicht. Eigentlich habe ich mich schon daran gewöhnt, daß mit solchen Leuten kein normalen Gespräch auf der Grundlage der exakten Wissenschaften möglich ist. Aber was mich wirklich getroffen hat, das war Deine Reaktion in diesem Gespräch. Ich hatte tatsächlich den Eindruck, daß Du für die verschwommenen Argumente der Esoterik durchaus empfänglich bist. Deshalb möchte ich Dir heute beweisen, wie einfach es ist, ein zusammenhängende Theorie zu entwickeln, die zwar überzeugend klingt, aber doch vollkommen falsch ist.

Das Rezept: Man nehme einige wohlbekannte physikalische Tatsachen und daraus besonders die interessanter klingenden Fachbegriffe, die nicht jeder kennt. Dazu verwende man bekannte Nebeneffekte und überhöhe ihre Bedeutung um einige Größenordnungen. Das ganze mische man mit gesellschaftlich relevanten Fragen, wobei besonders bestehende Ängste breiter Massen anklingen sollten. Und dazu kommt dann noch, das ist besonders wichtig, eine Prise Verschwörungstheorie. Wenn Du das dann in den richtigen Kreisen verbreitest, wirst Du gleich eine große Schar gläubiger Jünger um Dich sammeln. Also bitte, hier kommt ein Beispiel:
Quarzstahlung

Jeder halbwegs gebildete Mensch kennt die Eigenschaft des Quarzkristalls, mechanische Spannungen in elektrische Felder umzusetzen. Umgekehrt lassen sich natürlich auch durch elektrische Felder mechanische Schwingungen anregen. Technische Anwendungen gibt es genug. Nicht nur Schwingquarze und Quarzfilter, sondern auch Schwingungssensoren und Ultraschallwandler gehören dazu. Damit ist nichts wesentlich neues gesagt. Aber es wird allgemein übersehen, daß jeder Quarzkristall praktisch eine Brücke zwischen zwei völlig getrennten Welten darstellt: Das ganze Spektrum der elektromagnetischen Strahlung hat ja sonst überhaupt keine Verbindung zu mechanischen Schwingungen und Schallwellen. Das bedeutet, daß jeder Quarz ein Tor für beliebige terrestrische und außerterristrische Strahlung darstellt. Und nicht nur das, Quarze können völlig unbemerkt miteinander Energie austauschen, wobei ihnen als Kopplungsmedium nicht nur beliebige Festkörper, Flüssigkeiten oder Gase dienen können, sondern sogar das blanke Vakuum des Weltalls reicht.

Die zunehmende Verbreitung von Quarzen in technischen Anwendungen aller Art stellt damit eine ernstzunehmende Gefahr für unsere gesamte Zivilisation dar. Allein die ungewollte Kopplung und gar Synchronisierung über größere Entfernungen hat Konsequenzen, die noch gar nicht voll zu überblicken sind. Man denke nur an die unzähligen Uhrenquarze, die in jüngster Zeit zum Einsatz kommen. Zwar dämmert es einigen schon, daß der völlig synchrone Lauf der Zeitmessung Auswirkungen auf die Menschheit hat, die möglicherweise die einer hunderttausendjährigen Evolution übertreffen. Allein schon die Statistiken über seelische Erkrankungen der letzten Jahre sprechen Bände. Das Strahlungsfeld unzähliger Schwingquarze nimmt unsere Gehirne in die Zange wie ein überdimensionaler Schraubstock.
Ein vielleicht noch viel größeres Problem ist darin zu sehen, daß wir praktisch freiwillig unsere Tore für jede Manipulation außerirdischer Intelligenzen öffnen. Es ist nicht auszuschließen, daß bereits jetzt unzählige Quarze gezielt über gerichtete Strahlen aus dem Weltraum angeregt werden. Alle verantwortungsbewußten Hersteller von Schwingquarzen wissen schon seit langem von diesen Gefahren. Bereits 1950 gab es eine der Öffentlichkeit verheimlichte Konferenz zahlreicher namhafter Firmen, die zu dem Ergebnis führte, daß man die Produktion der sogenannten Glasquarze weitgehend einstellte und seitdem fast nur noch Metallgehäuse verwendet. Der Grund ist klar: Man wollte durch eine Art Faradaykäfig die Kopplung mit beliebigen elektromagnetischen Feldern unterbinden. Das ganze sollte ohne großes Aufsehen geschehen, um die Öffentlichkeit nicht zu beunruhigen. Und trotzdem wird in fast 50% aller Fälle vergessen, diese Abschirmung ordentlich zu erden. Die erreichbare Dämpfung kann in der Praxis 20 Dezibel nicht wesentlich überschreiten, was natürlich leicht durch größere Strahlungsleistung oder schärfere Bündelung ausgeglichen werden kann. Wir sitzen also weiterhin in einem Glashaus und können uns extraterrestrischen Einflüssen nicht entziehen.
Das ganze Problem trat bereits 1948 in einer Quarzmine in den Rocky Mountains nahe Denver in Erscheinung. Später wurde zwar von der amerikanischen Regierung eine totale Nachrichtensperre verhängt, aber zu Beginn der unerklärlichen Phänomene, als noch niemand genau wußte, was eigentlich geschah, gab es Berichte in den lokalen Zeitungen, die klar beweisen, daß starke Kopplungen elektromagnetischer Strahlen mit frei liegenden Quarzen eine bis dahin völlig unterschätzte Gefahr darstellten. Die größeren Quarzvorkommen waren über Milliarden von Jahren immer von abschirmenden Gesteins- und Erdschichten bedeckt. Durch den offenen Abbau wurde diese Abschirmung zerstört. Dazu kam wahrscheinlich noch, daß die zufällige Größe einzelner Bruchstücke und die beliebige Orientierung der Kristallebenen zu einer Vielfalt von Eigenresonanzen führte, die praktisch das gesamte Spektrum einfallender Strahlung umfaßte. Zunächst kam es zu unerklärlichen Krankheitsfällen unter den Arbeitern der Mine, die in einigen Fällen sogar zum Tode führten. Später wurden auch in den umliegenden Orten nachteilige Auswirkungen beobachtet, die von vermehrten Geisteserkrankungen bis zu einer allgemeinen Konzentrationsschwäche aller Schulkinder reichten. Eine eilig eingesetzte Untersuchungskommission führte einerseits zu der erwähnten Nachrichtensperre und andererseits dazu, daß die gesamte Mine mit einer metallischen Abschirmung geschützt wurde. Daß dies allerdings ausreichte, kann man bezweifeln. Aber Tatsache ist, daß seitdem Quarz nur noch Stollenabbau gewonnen wird. Die Mine nahe Denver ist inzwischen geschlossen. Man kann aber heute noch die Reste sehen, die einer verlassenen Fabrikhalle nicht unähnlich sind. Die Abschirmung durfte aus Sicherheitsgründen nicht entfernt werden, wobei man nur hoffen kann, daß künftige Generationen das dann noch wissen. Die einzig richtige Entscheidung, nämlich der sofortige Produktionsstop für alle Quarze, wurde von wenigen Großkonzernen wirksam verhindert. Nicht nur in Amerika hat ja die Regierung nur scheinbar die politische Macht, die Bevölkerung zu schützen.
Man braucht sich nur vor Augen halten, welche Auswirkungen die in Zukunft wahrscheinlich vermehrt eingesetzten Schwingquarze haben können, dann wird jeder verantwortungsbewußte Ingenieur dringend nach Alternativen suchen. Man stelle sich nur vor, daß möglicherweise in einem Haushalt der Zukunft bis zu zehn oder sogar mehr Quarze gleichzeitig im Einsatz sein werden. Schon heute deuten sich ja mögliche Anwendungen in Fernsehgeräten und Radios an. Dazu kommen dann wahrscheinlich mehrere Quarzuhren, elektrische Schreibmaschinen, drahtlose Telefone und alle möglichen Automaten, die wir heute noch nicht kennen. Nicht auszuschließen ist beispielsweise, daß Waschmaschinen der Zukunft über ein quarzstabilisiertes Rechenwerk verfügen werden. Und es werden sogar Computer in jedem Haushalt stehen, die nicht nur einen, sonders bis zu fünf Quarze enthalten. Allein diese Computer werden nach wenigen Jahren zu einer völligen geistigen Desorientierung der Jugend führen. Da die gesamte Gesellschaft gleichermaßen dem Einfluß der Quarzstrahlung unterworfen sein wird, werden die wenigen warnenden Stimmen schnell verstummen. Die gesamte Intelligenz wird paralysiert wie durch einen gigantischen und kollektiven Opiumrausch. Unsere Zivilisation wird im allgemeinen Chaos versinken. Erst wenn die letzten Quarze zerstört sind und auch die Erinnerung an ihre Produktion verblaßt, kann es zu einem Neuanfang der wenigen Überlebenden kommen.
Daher ein Appell an alle verständigen Menschen: Verzichtet auf den Einsatz von Quarzen! Kauft kein Gerät, von dem ihr nicht sicher sagen könnt, daß es ohne Quarze auskommt! Wehrt euch gegen den weiteren Abbau von Quarz in eurer Nähe! Widersteht der Industrie, die euch Bedürfnisse einreden will, um ihre immer neuen Produkte mit immer mehr Quarzen zu vermarkten! Schafft quarzfreie Inseln innerhalb der quarzverseuchten Zivilisation!


Na, mein lieber Paul, hat Dich das überzeugt? Hast Du Deine Quarzuhr bereits zertrümmert? Kommen Dir schon Zweifel am Zustand Deiner geistigen Kräfte? Keimt erste Panik in Dir auf? Dann sei beruhigt und entspanne Dich, denn es ist alles gar nicht wahr!
Zwar gibt es natürlich eine Kopplung über Schwingquarze, aber sie ist geringer als die über ihre Zuleitungsdrähte. Allgemein ist der beschriebene Einfluß tatsächlich so gering, daß er im thermischen Rauschen der Hintergrundstrahlung untergeht. Außerdem sind elektrische Geräte ja überwiegend in Metallgehäusen eingebaut, sonst gäbe es ja dauernd Ärger mit den Fernmeldebehörden. Ob es eine alte Quarzmine nahe Denver gibt, weiß ich nicht, aber eine leerstehende Fabrikhalle wird man dort sicher finden. Du siehst also, Gerüchte sind schnell in die Welt gesetzt, lassen sich aber nur schwer widerlegen. Hast Du bemerkt, daß ich die ganze Zeit über zwischen den Zeilen die Existenz außerirdischer Existenzen vorausgesetzt habe? So etwas gefällt allen Esoterikern und dient ihnen als Beweis für die Glaubwürdigkeit der gesamten Theorie. Und trotzdem gibt es keine Beweise und nicht einmal ernste Gründe, an diese Wesen zu glauben. Die Macht der Industrie über Regierungen ist wahrscheinlich eine Tatsache. Aber im Bereich der Quarzproduktion braucht man keinen Druck auszuüben, der wird für ganz andere Dinge gebraucht. Meine futuristische Beschreibung der künftigen Ausstattung mit elektronischen Geräten war natürlich auch übertrieben. Oder glaubst Du im Ernst, daß irgendwann einmal in jedem Haushalt ein Computer steht? Das ist ja allein schon aus Kostengründen völlig ausgeschlossen!

In diesem Sinne, bleibe Realist!

Dein Dietrich


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