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(c) P.Copper, Drahtlos

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1. Fünf schwarze Kladden

1.1 Die verborgene Blechkiste

Dass ich überhaupt auf Drahtlos gestoßen bin, liegt an einem seltsamen Zufall. Als mein Schwager sich vor einigen Jahren im Süden von Essen einen Schrebergarten zulegte, bat er mich um Hilfe bei der Renovierung des Gartenhäuschens. Wir stießen dabei auf eine rostige Blechkiste, die unter dem morschen Holzboden verborgen war. Sie ließ sich leicht öffnen. Zum Vorschein kamen einige seltsame Gegenstände und fünf dicke schwarze Notizbücher. Es handelte sich um Kladden mit kariertem Papier und mit einem dicken Pappdeckel, der schwarzgrau marmoriert war. Sie waren voll mit handschriftlichen Aufzeichnungen, unzähligen technischen Handskizzen, Diagrammen, Schaltplänen und Versuchsprotokollen, alles sorgfältig mit Bleistift geschrieben. Die Handschrift machte mir zunächst einige Probleme, auch war das ganze nicht gerade übersichtlich. Jedes Buch hatte eine Beschriftung auf dem Einband, aus der klar und deutlich der Name des Eigentümers hervorging: Dipl. Ing. Dietrich Drahtlos. Außerdem waren Jahreszahlen vermerkt: Es handelte sich um vollständige Aufzeichnungen aus den Jahren 1955 bis 1970.

Natürlich versuchten wir gleich, den Eigentümer ausfindig zu machen. Es stellte sich aber heraus, dass Herr Drahtlos nur etwa ein halbes Jahr in dem Gartenhäuschen gelebt hatte. Er war dann plötzlich spurlos verschwunden und hatte auch die restliche, relativ geringe Miete nicht mehr bezahlt. Der Besitzer hatte keine Bedenken, die wenigen persönlichen Dinge des Herrn Drahtlos auf den Müll zu werfen und den Garten samt Häuschen zu verkaufen. Erst sehr viel später hatte der Garten erneut den Besitzer gewechselt und gehört seitdem meinem Schwager. Da er kein Interesse am Inhalt der rostigen Kiste hatte, nahm ich alles mit zu mir. Ich hoffte einerseits, es dem Besitzer doch noch zurückgeben zu können, andererseits muss ich zugeben, dass vor allem die Notizbücher mich von Anfang an faszinierten. Ich war selbst immer an technischen Dingen interessiert, und je länger ich in den Aufzeichnungen las, desto intensiver spürte ich eine seltsame Art von Seelenverwandtschaft.
Uns beide, Drahtlos und mich, verbindet unsere gemeinsame Liebe zu den Naturwissenschaften und zur Technik. Beim Betrachten einer technischer Meisterleistung oder eines naturwissenschaftlichen Phänomens geraten wir in einen Zustand, den andere Menschen vielleicht im Angesicht berühmter Kunstwerke verspüren. Die Architektur einer großtechnischen Industrieanlage ringt mir eine Bewunderung ab, wie anderen vielleicht eine Kathedrale. In meinem Aufgabenbereich als technischer Journalist habe ich oft mit solchen Dingen zu tun. Ich beschreibe neueste Entwicklungen und Forschungsergebnisse in Büchern und Zeitschriften. Auch deshalb haben mich die Aufzeichnungen Drahtlos´ von Anfang an interessiert. Viele seiner Entwicklungen versetzen mich in Staunen über sein außergewöhnliches Maß an Kreativität und Schaffenskraft.

Handschriftliche Aufzeichnungen, besonders aber Zeichnungen, können einen besonderen Reiz ausüben. Sie stellen oft so etwas wie die kristallisierten Gedanken eines Menschen dar. Das gilt in besonderer Weise für die Zeichnungen des Ingenieurs Drahtlos. Ich hatte den Eindruck, dass er sich große Mühe gab, nur das Wesentliche aufzuzeichnen, so als käme es darauf an, möglichst lange mit einer Kladde auszukommen. In der Tat ist es ja erstaunlich, dass eine Kladde im Schnitt für drei Jahre reichte, obwohl es so aussieht, als sei die gesamte berufliche Tätigkeit des Ingenieurs in den Büchern dokumentiert. Vielleicht war das seine Art, mit dem Problem der Ordnung und Archivierung fertig zu werden. Das System ist einfach, wenn alles in einem Buch steht, braucht man nicht lange danach zu suchen. Man sieht auch deutlich, dass Drahtlos immer wieder auch auf lange zurückliegende Ergebnisse zurückgriff, Aufzeichnungen kommentierte und berichtigte oder später in veränderter Form wieder aufgriff. Die Bücher sind sehr abgegriffen. Trotzdem fehlte nicht eine einzige Seite. Auch solche Ergebnisse, die sich als offensichtliche Fehler oder Fehlschläge erwiesen, wurden nicht vernichtet, sondern allenfalls kritisch kommentiert.

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