Start Vorwort Inhalt Neues Leserbriefe

(c) P.Copper, Drahtlos

weiter


1.2 Erfindersprüche

Ein anderer Punkt sprang mir sofort ins Auge: Drahtlos war ein Mensch mit tiefen Gefühlen, der voll in seiner Arbeit aufging. Man sieht das an den vielen Sprüchen, die er wohl selbst erdacht hat. Sie haben eine sehr einfache Form mit nur zwei Zeilen. Oft scheint mir, als wäre es dem Ingenieur gelungen, ganz wesentliche Erkenntnisse aus seiner Arbeit mit sehr wenigen Worten präzise zusammenzufassen. In vielen Fällen scheinen seine Sprichworte so etwas wie Trost für erlittene Niederlagen oder Misserfolge auszudrücken. In andern Fällen wieder beschreiben sie die besondere Ethik des Ingenieurs oder seinen Stolz als Erfinder. Ganz vorn auf der ersten Seite fand ich den folgenden Spruch:

Des Ingenieurs Devise:
Schnell und präzise.

Es muss sich hier um seinen Wahlspruch in Bezug auf seine berufliche Tätigkeit gehandelt haben. Vielleicht stand der Spruch sogar auf einem Schild an seiner Tür, aber das kann ich nur vermuten. Allgemein erkenne ich in seinen Sprüchen ein unglaubliches Maß an Optimismus und Vertrauen, was um so erstaunlicher ist, wenn man bedenkt, welche Niederlagen er in seiner beruflichen Laufbahn einstecken musste. Für ihn scheint es immer eine Lösung gegeben zu haben:

Die steilste Wand
Erklimmt der Verstand.

Auch schwierige Fälle, die andere vielleicht als aussichtslos erachtet hätten, waren für ihn nur ein Grund, noch intensiver nach der Lösung zu suchen. In der Tat sind viele seiner Entwicklungen von einem ganz erstaunlichen Maß an Einfallsreichtum gekennzeichnet.

Der passende Kniff
Umgeht jedes Riff.

Ich hatte den Eindruck, dass er oft Ideen hatte, die nicht im Zusammenhang mit einem konkreten Auftrag standen, sondern eher plötzlich und unerwartet aus seiner technischen Phantasie auftauchten. Er konnte dann andere Arbeiten liegen lassen und sich voll auf ein neues Projekt stürzen.

Die erste Inspiration
Ist oft die Lösung schon.

Viele seiner Ideen führten zu ernsthaften Entwicklungen, Erfindungen und Patenten. Seine wirtschaftliche Situation war trotzdem eher schlecht. Er hatte oft Pech mit der Vermarktung seiner Ideen. Mal wurde ihm eine Entwicklung gestohlen, mal sein Patent zwar angenommen, dann aber von einer großen Firma mit kleinen Änderungen erneut angemeldet, so dass er leer ausging, und mal kam ihm ein Konkurrent zuvor.

Es wird kein Patent,
Was jeder schon kennt.

Eine ganz besondere Fähigkeit besaß Drahtlos, eigene Niederlagen mit Humor zu verarbeiten. Mancher seiner zahlreichen Fehlschläge allein hätte ausgereicht, um einen andern zu veranlassen, sich einen neuen Beruf zu suchen. Drahtlos dagegen konnte mit einer ganz erstaunlichen Gelassenheit zur Tagesordnung übergehen. Auch die größten Katastrophen seiner Laufbahn rangen ihm nicht viel mehr als ein passendes Sprüchlein ab.

Manch schwieriger Fall
Endet mit Blitz und Knall.

Ein weiteres unverkennbares Merkmal des Ingenieurs Drahtlos war sein nicht zu übersehender Hang, aus alten Dingen Neues zu schaffen. War es Sparsamkeit, war es seine angespannte finanzielle Situation, oder war es besondere Achtung vor den technischen Leistungen seiner Vorgänger, die ihn veranlassten, nichts wegzuwerfen, sondern immer nach einer passenden Verwendung für Alles und Jedes zu suchen? Jedenfalls hatte er eine deutliche Vorliebe für Schrott.

Ohne Schrott im Haus
Kommt der Erfinder nicht aus.

Diese Art von Poesie übt eine eigentümliche Wirkung auf mich aus. Mal kommt es mir vor, als sähe ich den Ingenieur in seiner Werkstatt stehen. Mal verspüre ich den unwiderstehlichen Drang, selbst einmal wieder etwas zu bauen. Und mal wecken die Sprüche Erinnerungen, die lange vergessen schienen. Auch anderen scheint es ähnlich zu gehen. Immer wenn ich Menschen getroffen habe, die Kontakt zu Drahtlos hatten, konnte ich feststellen, dass sie Sprüche kannten und auch verwendeten, die ich zuvor in den Büchern des Ingenieurs gefunden hatte. Anscheinend handelt es sich um eine Art unauslöschliches Erbe des Erfinders Drahtlos. Ich vermute, dass sie eine positive Wirkung auf Menschen ausüben und deshalb nicht vergessen werden. Ich glaube auch, dass die Sprüche der eigentliche Grund waren, warum das Schicksal des Ingenieurs mir nicht aus dem Sinn ging. Vielleicht habe ich deshalb nie aufgehört, in seinen Aufzeichnungen zu lesen, vieles zu überprüfen oder nachzurechnen, die Gründe für seine Misserfolge zu suchen und mir Gedanken über sein Verschwinden zu machen.
Was uns beide, mich und Drahtlos, auch verbindet, ist unsere geringe Erfahrung mit Frauen. Der engagierte Forscher lebte immer schon in einer Art selbstgewähltem Zölibat, das nur unter Zwang aufgegeben wurde. Auch zahlreiche meiner Kollegen, die den Hafen der Ehe angesteuert haben, sind letztlich nicht glücklich geworden. Uns technisch interessierten Menschen fehlt manchmal die Erfahrung im zwischenmenschlichen Bereich, die nötig wäre, eine schwierige Aufgabe wie die Ehe zu meistern. Ich selbst kenne zwar viele Frauen, aber meist gingen die Beziehungen nicht tief, sondern waren eher freundschaftlicher Natur. Erst in jüngster Zeit hat mich das Glück der Liebe doch noch gefunden, was ich übrigens dem Ingenieur Dietrich Drahtlos verdanke. Er selbst dagegen scheint zeit seiner Aufzeichnungen nie enger mit einer Frau liiert gewesen zu sein. Es gibt in seinen Notizen zwar einmal einen Hinweis auf eine gewisse Gertrud, die ihn besuchte, woran er anscheinend große Erwartungen knüpfte. Aber die Sache scheiterte. Es hatte irgend etwas mit seinem neu erfundenen vollautomatischen Sektflaschenöffner zu tun, die Aufzeichnungen aber sind an dieser Stelle merkwürdig unpräzise. Ich versuchte mir vorzustellen, was geschehen war: Eine nasse Hose, ein bespritztes Kleid, eine Situation, aus der sich mit einiger Erfahrung durchaus noch etwas machen lässt, die aber einen Neuling auf dem schwierigen Gebiet der Romantik völlig überfordert, so dass nur noch der schnelle Rückzug bleibt. Drahtlos war eben mehr ein Mann der Wissenschaften.


zurück
weiter