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(c) P.Copper, Drahtlos

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3.4 Heiße Röhren

Es gab übrigens bei den Verstärkern ab V4 zunehmende Probleme mit den Ersatzteilen. Die Beschaffung wurde nun anders geregelt. Die Gagen der Konzerte konnten kaum verwendet werden, weil jedesmal die Schäden am Saal bezahlt werden mussten. Der Eintritt betrug nur 2 DM. Es gab aber eine Liste mit erwünschten Ersatzteilen, mit denen man auch bezahlen konnte: Trafos, Elkos, Selen-Gleichrichter und natürlich Röhren. In einigen Fällen soll es vorgekommen sein, dass der Fernseher der eigenen Eltern ausgeplündert wurde. Ein Lehrling in einer Fernsehwerkstatt wechselte grundsätzlich die Zeilenendröhren und verhökerte die gebrauchten auf dem Schwarzmarkt. Es kam das Gerücht auf, dass der Klang einer Röhre um so besser sei, je näher sie schon am Ende ihrer natürlichen Lebensdauer sei. Der besagte Lehrling entwickelte deshalb ein Gerät zur künstlichen Alterung, mit dem er durch eine gewisse thermische Überlastung in nur einer Woche eine erhebliche Wertsteigerung der Röhren erreichen konnte.

Unter den Fans der Heißen Röhren erreichten auch die verbrannten Röhren aus den Konzerten den Status von Ikonen. Ein vollständiges Paar Endröhren war fast unbezahlbar. Meist waren die Glaskolben völlig in sich zusammengefallen und das Innere teilweise deformiert oder sogar angeschmolzen. Es wurde dann diskutiert, welche der beiden Röhren zuerst aufgegeben hatte. Beim Konzert V5 zum Beispiel hatte jemand gesehen, wie sich im Bereich der Anode der linken Röhre ein weißer Lichtbogen gebildet habe, der Anodenstrom sei also unterbrochen worden, was zu einer deutlichen Veränderung des Klangs geführt habe, während fast gleichzeitig das Schirmgitter hell aufglühte und der Glaskolben implodierte. Durch die fehlende Belastung der linken Röhre sei wahrscheinlich die Anodenspannung um bis zu 60 Volt angestiegen, so dass auch die rechte Röhre, deren Anode schon vorher hellrot geglüht habe, nach weiteren fünf Sekunden geschmolzen sei. Der Koffer habe zu dieser Zeit im Bereich über den Röhren bereits lichterloh gebrannt. Man habe mit den Feuerwehrleuten vereinbart, diesmal nicht wieder mit Wasser zu löschen, um die Röhren nicht zu schnell abzukühlen. Statt dessen wurde schonend eine Löschdecke eingesetzt. Später konnte man dann die wertvollen Stücke vorsichtig ausbauen.
Natürlich gab es auch jede Menge Fälschungen, die in irgendwelchen Lagerfeuern geröstet wurden. Aber ein Fachmann ließ sich dadurch nicht täuschen. Ganz allgemein blühte der Eigenbau von Gitarrenverstärkern, wobei man versuchte, den legendären Klang der heißen Röhren nachzuahmen, was natürlich nie völlig gelang. Das ganze führte dann schließlich zu einer wirklich ernsten Knappheit bei kleinen, gebrauchten Lederkoffern. Ein anderes Material kam nicht in Frage, weil der korrekte Brandgeruch unabdingbar war. Auch deshalb war V6 der letzte Verstärker aus der Werkstatt von Drahtlos. Die Devise lautete: Aufhören, wenn es am schönsten ist. Es kamen auch noch andere Probleme hinzu. Zwei der Bandmitglieder mussten zum Studium in eine andere Stadt, und der Gitarrist der Heißen Röhren hatte sich in die Sängerin der Reißenden Saiten verliebt.
Technische Hinweise: Röhren

Die einfache Röhre mit Heizdraht, Kathode, Gitter und Anode nennt man "Triode", weil sie drei Anschlüsse hat, die Heizungsanschlüsse nicht mitgezählt. Sie wird heute noch in großen Sendern eingesetzt. Für die Radiotechnik wurden die Eigenschaften der Röhre noch weiter verbessert. Man fügte zwei weitere Gitter ein. Hinter dem Steuergitter kam das Schirmgitter, das an eine positive Spannung gelegt wurde. Es sollte die Elektronen erst richtig in Schwung bringen. Kurz vor der Anode gab es noch das Bremsgitter, das an die negative Spannung angeschlossen wurde. Es sollte Elektronen, die von der Anode abprallten, abstoßen und auf den rechten Weg zurückschicken. Jetzt hatte man die Pentode, also eine Röhre mit fünf Anschlüssen. Besonders das Schirmgitter verbesserte die Röhre erheblich. Man konnte nun recht große Ströme fließen lassen, wie sie in Leistungsverstärkern gebraucht werden. Die PL36 und die PL504 in den Verstärkern für die Heißen Rühren waren solche Pentoden.

Wenn Sie eine Pentode genau betrachten, sehen Sie im Glaskolben zuerst das äußere, rohrförmige Blech der Anode. Darin befinden sich die Drahtgitter, und ganz in der Mitte ist die Kathode. Im Betrieb liegt eine hohe Spannung von einigen Hundert Volt an der Anode. Die Elektronen kommen mit hoher Geschwindigkeit an und prallen auf die Anode. Sie wird daher heiß. Die Wärme wird in Form von Wärmestrahlung durch das Glas abgestrahlt. Wenn man allerdings eine zu hohe Anodenspannung und zu hohe Ströme verwendet, dann kann die Anode so heiß werden, dass sie glüht. Eine Zeit lang mag das ja noch gut gehen, aber irgendwann ist der Spaß vorbei, spätestens nämlich dann, wenn das Glas schmilzt. Eine Röhre PL504 zum Beispiel kann laut Datenblatt eine Anodenleistung von 25 Watt verkraften. Das Schöne an der Röhre ist aber, dass sie kurzzeitig erheblich überlastet werden darf, weil die Anode sich nur langsam erwärmt. Statt 25 Watt dürfen es also auch schon mal 100 Watt sein, nur eben nicht sehr lange. Die Verstärker von Drahtlos dagegen arbeiteten so hart an der Grenze, dass sie nach kurzer Zeit abbrannten.

Haben Sie sich jetzt gefragt, warum eine so schöne Sache wie die Röhre fast ganz aus der Mode gekommen ist? Das Problem war ihre Größe und ihre Verschwendung von Energie. Um auch nur eine Leistung von einem Milliwatt zu verstärken, braucht man eine mehr als tausend mal so große Leistung allein schon für die Heizung. Ein ganzes Radio konnte über 50 Watt verbrauchen, auch wenn es ganz leise gestellt war. Heute dagegen können Sie mit zwei kleinen Batterien mehrere Tage lang Radio hören. Dies wurde durch die Erfindung der Halbleiter möglich. Ganz ähnliches wie im luftleeren Raum der Röhre spielt sich hier zum Beispiel in einem Silizium-Kristall ab. Aber nun braucht man keine Heizung mehr, und das Glühen gibt es nicht mehr. Auch der Selen-Gleichrichter gehört zu den Halbleitern. Drahtlos baute die ersten Verstärker noch mit Gleichrichterröhren, die späteren aber mit Selen-Gleichrichtern. Heute nimmt man Silizium-Dioden, die viel kleinere Energieverluste haben. Noch besser sind Schottky-Dioden, eine Sonderform der Siliziumdioden.

An die Stelle der Verstärkerröhren sind heute Transistoren getreten. Sie haben wie eine Triode drei Anschlüsse, wovon einer den Strom steuert. Zuerst baute man sie aus Germanium, heute meist aus Silizium. Der Kristall eines Transistors ist sehr klein und darf nie wärmer als 200 Grad werden. Anders als Röhren, die man kurzzeitig überlasten darf, sind Transistoren sehr empfindlich. Oft reicht schon ein kurzer Moment der Überlastung, um sie zu zerstören. Leider kann man in Transistoren nicht mehr hineinschauen. Die Elektronik ist dadurch noch etwas undurchsichtiger geworden. Deshalb sagte ich Ihnen ja, sie sollten wenigstens eine Röhre verwahren.


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