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(c) P.Copper, Drahtlos

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4. Schwerelosigkeit

4.1 Supraleiter

Die langjährigen Versuche des Ingenieurs Drahtlos zum Thema keramische Materialforschung ließen ihn nie ganz los. In den letzten Jahren seiner Aufzeichnungen finden sich häufige Hinweise auf ein ganz großes Ziel: Supraleiter bei hohen Temperaturen. Später hat ein anderer Wissenschaftler den Nobelpreis bekommen, weil er einen Supraleiter für die relativ hohe Temperatur des siedenden Stickstoffs entwickelt hatte. Ich vermute, Drahtlos schätzte die Bedeutung des Themas nicht richtig ein. Jedenfalls war er bereits 15 Jahre früher erheblich weiter, ohne damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Sein Ziel war aber noch höher gesteckt: Er wollte ein Material entwickeln, das bereits bei normaler Raumtemperatur von 20 Grad supraleitend wird, also komplett seinen elektrischen Widerstand verliert.

Die Kladden belegen, dass Drahtlos verschiedene Anwendungen des Materials im Auge hatte, die auch große wirtschaftliche Bedeutung hatten. Ein Supraleiter schwebt auf einem Magnetfeld, wenn er von oben angenähert wird. Das bot nach den Planungen Drahtlos´ die Möglichkeit, völlig reibungsfreie Transportsysteme zu bauen. Einige etwas utopisch anmutende Zeichnungen zeigen Fahrzeuge ohne Räder. Dass ein solcher Supraleiter auch für die Übertragung elektrischer Energie erhebliche Bedeutung haben würde, verstand sich von selbst. Für Drahtlos war aber klar, dass die ganze Sache nur Sinn machte, wenn die Sprungtemperatur im Bereich der normalen Umgebungstemperatur oder höher läge. Wer will schon große Mengen flüssigen Stickstoff mitführen, nur um zum Einkaufen zu fahren.
Drahtlos war ein hochkarätiger Experte auf dem Gebiet der Materialforschung, obwohl man nie eine Veröffentlichung von ihm gesehen hat. Hätte er in einem Team gearbeitet und nicht immer alles allein schaffen wollen, dann wären wir alle inzwischen wahrscheinlich schon viele Jahre weiter in der technischen Entwicklung unserer Zivilisation. Drahtlos verfolgte eine Idee, die erst in jüngster Zeit wieder Thema wissenschaftlicher Forschungen ist: Metallischer Wasserstoff müsste supraleitende Eigenschaften aufweisen, die auch bei sehr hohen Temperaturen erhalten blieben. Die Kunst bestand aber darin, das Material stabil zu bekommen. Drahtlos hatte die geradezu geniale Idee, den Wasserstoff so an andere Elemente zu binden, dass ein keramisches Material entsteht, das von geschlossen, netzartigen Bahnen aus Wasserstoff durchzogen ist. Das Keramikmaterial mit Bestandteilen von Silizium, Barium und Titan hatte im wesentlichen die Funktion, ein stabiles Gitter zur Einlagerung des Wasserstoffs zu bilden. Drahtlos hatte diese Idee jahrelang verfolgt und auch praktische Versuche unternommen, die jedoch sehr durch seine bescheidenen experimentellen Möglichkeiten erschwert wurden. Sein Ansatz bestand darin, Kohlenwasserstoffe zu verwenden, die sich beim Sintern unter hohen Temperaturen zersetzen sollten und den Wasserstoff freigaben. Er versuchte es mit verschiedenen Ölen. Der frei werdende Kohlenstoff sollte sich mit dem Silizium zu Silizium-Karbid verbinden, das dann als Bestandteil der Keramik auftauchte.
Die Sache erschien mir nicht ganz ohne Risiko. Der Brennvorgang musste unter völligem Sauerstoffabschluss stattfinden, da es sonst zu einer Explosion kommen konnte. Der flüssige Kohlenwasserstoff würde zum Teil verdampfen und mit eventuell vorhandenem Sauerstoff ein zündfähiges Gemisch ergeben. Ich konnte mir nur vorstellen, dass der ganze Prozess derartig schnell durchlaufen werden müsste, dass dem Öl keine Zeit zum Verdampfen bliebe. Es blieb eigentlich nur die Möglichkeit einer gezielten Explosion, bei der das ganze Material im Zeitraum von Bruchteilen einer Millisekunde gleichzeitig extrem komprimiert und erhitzt würde. Drahtlos scheint aber eine langsamere Erhitzung probiert zu haben. Bereits während seiner Zeit in Schwaben kam es damals zu einer kleineren Explosion, die leider seinen Sinterofen zerstörte. Später, als er im Schwarzwald lebte, wurde der Prozess entscheidend verbessert und mit einem neu gebauten Ofen weiter entwickelt. Nach ersten Erfolgen kam es aber schließlich doch wieder zu einer Explosion. Er musste seine Versuche aufgeben. Mit derart bescheidenen Mitteln war es einfach nicht zu schaffen. Er brauchte wesentlich größere und bessere Sinteröfen, die vor allem eine wesentlich höhere Temperatur erreichten.
Technische Information: Supraleiter

Jedes Metall hat im Normalfall einen elektrischen Widerstand, was in Drähten und Kabeln zu Wärmeverlusten führt. Durch Kühlung bis nahe an den absoluten Nullpunkt von -273 Grad erreicht man jedoch bei vielen Metallen den Zustand der Supraleitung. Der Widerstand geht plötzlich bis auf Null zurück. Auch bei großen Strömen treten keine Verluste auf. Man kann mit Supraleitern riesige Elektromagnete bauen. In einem geschlossenen supraleitenden Drahtring kann ein Strom beliebig lange im Kreis fließen ohne abzunehmen.

Zahlreiche Forscher versuchen wie Drahtlos Supraleiter zu finden, die mit weniger Kühlung auskommen. Heute kennt man besondere keramische Werkstoffe, die sich schon bei Kühlung mit flüssigem Stickstoff in Supraleiter verwandeln. Nähert man ein solches Werkstück einem Magneten, wird wie in einem Dynamo ein elektrischer Strom induziert, der allerdings lange bestehen bleibt weil es keine Leiterverluste gibt. Der Ringstrom erzeugt wiederum ein Magnetfeld, das zu einer abstoßenden Kraft führt. Deshalb schwebt der Supraleiter über dem Magneten.


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