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(c) P.Copper, Drahtlos

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2.5 Vom Unglück getrieben

Nach seiner überstürzten Flucht aus dem Schwabenland ließ Drahtlos sich zunächst im Odenwald nieder. Er fand Unterkunft bei einem Bauern und scheint dort etwa ein Jahr lang hauptsächlich von Reparaturen gelebt zu haben. Halb aus Freundlichkeit und halb zur Bezahlung seiner Miete entwickelte er nebenbei eine vollautomatische Fütterungsanlage für Hühner, weil sein Vermieter gerade in eine Hühnerfarm investierte. Die Aufzeichnungen enthalten hier relativ genaue Zeichnungen. Das ganze erschien mir sehr gut durchdacht und in vielen Details einfach genial. Auch der erste Test lief zur Zufriedenheit aller. Am nächsten Tag jedoch waren alle 1000 Hühner tot. Auch hier half wieder nur die schnelle Flucht. Drahtlos fuhr mit der Bahn in den Schwarzwald. Im Zug versuchte er das Rätsel der fehlerhaften Fütterungsanlage zu analysieren, man sieht es deutlich an der etwas verwackelten Schrift. Er schien den Fehler in der elektrischen Installation zu vermuten, woran er selbst keine Schuld trug. Jedenfalls waren alle 1000 Hühner an einem elektrischen Schlag verendet.

Wieder hatte er nichts als seine Aufzeichnungen retten können. "Den Bauern kann man nicht vertraue(r)n." Dieser etwas misslungene Spruch wurde nicht in die Sammlung der Sprüche Drahtlos´ im Anhang dies Buchs aufgenommen, weil er nicht wie die anderen aus der konkreten Situation im Labor stammt und auf mannigfaltige Erfahrungen zurückgeht, sondern eher die momentane Verärgerung und Enttäuschung des Ingenieurs ausdrückte.
Im Schwarzwald ließ Drahtlos sich in einem kleinen Dorf nieder. Er wohnte dort insgesamt drei Jahre, und mir schien, dass er sich hier sehr wohl gefühlt hat. Er übernahm wieder kleinere Reparaturen und bekam auch sonst den einen oder andern Auftrag. Weiterhin beschäftigte er sich mit seinen Forschungen in der keramischen Werkstofftechnik. Er hatte in der ersten Zeit einen Assistenten, einen gewissen Siegfried S., der ihm bei seinen Entwicklungen half. Daneben hat er wohl mehrere junge Leute nebenberuflich beschäftigt, um vor allem die lästigen Reparaturen schaffen zu können. Mir kam es so vor, als hätten diese jungen Leute eine sehr gründliche Ausbildung in Radio- und Fernsehtechnik erhalten. Anscheinend machten sie zahlreiche Experimente, die von den Herstellern der Geräte eher nicht vorgesehen waren.
Besonders eindrucksvoll fand ich eine Idee, mit geringstem Aufwand einen Fernsehempfänger zu einem allgemeinen Empfangsgerät für Funkanwendungen im höheren Frequenzbereich zu machen. Dabei wurde im Bereich des Bild-Zwischenfrequenzverstärkers durch eine schwache Rückkopplung ein simuliertes Bildträgersignal erzeugt, das die Demodulation des Tonträgers erlaubte. Die normale Funktion des Fernsehers wurde dadurch nicht gestört, die Bildwiedergabe vielmehr in Fällen geringer Empfangsfeldstärke sogar verbessert, weil der originale Bildträger den simulierten synchronisierte. Das ganze taugte dann aber auch als Sprechfunkempfänger. Es gibt Hinweise in den Aufzeichnungen, die darauf hindeuten, dass auch die dazu passenden Sender gebaut wurden.


Technische Hinweise: Fernsehempfänger

Beim Fernsehen verwendet man praktisch zwei getrennte Sender für das Bild und den Ton. Der Tonsender ist wesentlich schwächer als der Bildsender, weil hier weniger Informationen übertragen werden. Bild- und Tonsender liegen in Deutschland genau um 5,5 Megahertz auseinander. Im Fernsehgerät entsteht die sog. Tonträger-Zwischenfrequenz von 5,5 Megahertz nur dann, wenn auch der Bildträger vorhanden ist. Man könnte sagen: Ohne Bild kein Ton. Das Fernsehgerät kann also eigentlich nicht als Sprechfunkempfänger verwendet werden.

Der Umbau der Geräte in Drahtlos´ Werkstatt beruhte darauf, dass ein ganz kleiner Bildsender nachgebildet wurde, der dann praktisch immer vorhanden war. Das erforderte nur einen Bauteileaufwand von wenigen Pfennigen. Die hervorragenden Empfangseigenschaften üblicher Fernsehempfänger konnten auf diese Weise universeller genutzt werden.


Die meisten Leute im Dorf verstanden nicht, was Drahtlos eigentlich machte. Seine Arbeit wurde vielfach in Kategorien gemessen, die ihm selbst völlig fremd waren. Aus seinen Aufzeichnungen entnahm ich, dass die Atmosphäre des Schwarzwaldes offenbar esoterisch durchtränkt war. Es wimmelte dort von Wünschelrutengängern, PSI-Spezialisten und Erfindern der besonderen Art. Dementsprechend wurden vor allem seine späteren Blitzversuche in die übernatürliche Ecke gestellt, in der einheimischen Bevölkerung gab es sogar Gerüchte über Zauberei und Hexenkunst. Drahtlos selbst hatte mehrfach Kontakt zu seinen esoterischen Erfinder-Kollegen. Einmal nahm er einen Entwicklungsauftrag an: Ein Gerät zur Bestimmung des Wirkungsgrades eines Perpetuum Mobile. Gemessen wurde übrigens der erstaunliche Wirkungsgrad von 138 Prozent. Drahtlos wies aber minutiös nach, dass ein systematischer Fehler im Aufbau des Gesamtexperiments zu einer völlig falschen Interpretation der Ergebnisse führte. Mit anderen Worten, das Perpetuum Mobile funktionierte nicht. Es gab heftige Dispute über den Ansatz der Messung und über die theoretischen Grundlagen, eine Verständigung war aber unmöglich. Drahtlos beharrte auf seinem nüchternen, naturwissenschaftlichen Standpunkt. Über die Versuche zum Bau eines Perpetuum Mobile urteilte er eher sarkastisch:

So manches Genie
Schaffte es nie.


Technische Hinweise: Perpetuum mobile

Das Perpetuum Mobile (Lat. "das ewig sich bewegende") ist ein alter Menschheitstraum: Energiegewinnung ohne den Einsatz irgendwelcher Energiequellen. Es könnte ein Motor sein, der sich ewig dreht, oder ein Batterie, die niemals leer wird. Aber leider geht das nicht. In der Physik kennt man den Energieerhaltungssatz, der praktisch besagt, dass man Energie zwar hin- und herschieben kann, dass sie aber nie verschwindet oder aus dem Nichts auftaucht. Bisher hat sich diese Theorie tausendfach bewährt, eine Ausnahme wurde noch nie beobachtet. Daher ist es nicht sehr rational, weiterhin darauf zu hoffen, dass es doch noch eine Lücke geben könnte. Bei zunächst ungeklärten Beobachtungen ist es dagegen sinnvoller, von der Gültigkeit des Energieerhaltunssatzes auszugehen und intensiv nach der Energiequelle zu suchen. Dies war auch der Ansatz des Ingenieurs Drahtlos.


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