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(c) P.Copper, Drahtlos

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2.6 Blitzenergie

Drahtlos beschäftigte sich länger theoretisch, dann aber auch praktisch mit der Energiegewinnung aus Blitzen. Das wurde zwar schon von vielen vor ihm angedacht, aber immer wieder als nicht praktikabel verworfen. Drahtlos ließ die Aufgabe keine Ruhe. Er analysierte zunächst sehr präzise das Problem: Bei einem Blitz tritt eine sehr hohe Stromstärke auf, aber nur für eine kurze Zeit. Die insgesamt fließende Ladung ist nicht übermäßig groß. Würde man sie direkt in einen Akku leiten, was natürlich nur theoretisch denkbar ist, dann wäre die gewonnene Energie gering. Die große Energie des Blitzes ist in seiner hohen Spannung von vielen Millionen Volt begründet. Die einzige Möglichkeit, einen gewissen Anteil dieser Energie zu gewinnen, bestand darin, mit dem Blitz einen Kondensator auf eine möglichst hohe Spannung aufzuladen. Ein zu großer Kondensator wäre dabei eher ungünstig, weil er sich bei gegebener Ladung auf eine geringere Spannung aufladen würde. Die gewonnene Energie steigt aber mit der Spannung.

Das zweite Problem ist die außerordentlich geringe Häufigkeit, mit der Blitze an einem gegebenen Ort einschlagen. Das Projekt konnte nur gelingen, wenn eine Konzentration der Blitze erreicht würde. Im Prinzip schlagen Blitze häufiger in hohe Masten ein. Man könnte also einen mehrere Kilometer hohen Blitzableiter bauen, der dann tatsächlich besonders häufig getroffen würde. Drahtlos fand aber eine noch sehr viel elegantere Methode. Er entdeckte die bis dahin noch nie beschriebene Möglichkeit der virtuellen Erhöhung des Blitzfängers durch eine Gegenspannung. Die Idee ist genial einfach: Bei einer positiven Wolkenladung lädt man den Ableiter mit einer möglichst hohen Spannung negativ auf. Die Verzerrung des elektrischen Feldes entspricht dann einem entsprechend höheren Ableiter. Bei einer elektrischen Feldstärke von z.B. 1000 Volt pro Meter kann also mit einer Gegenspannung von 100 Kilovolt bereits ein einhundert Meter hoher Mast ersetzt werden. Dieser würde dann Blitze anziehen und - diese Möglichkeit beschäftige Drahtlos besonders - die Umgebung praktisch vor Blitztreffern abschirmen.

Ein drittes Problem war nicht so einfach zu lösen. Der Kondensator müsste vom Blitz etwa bis auf 500 000 Volt aufgeladen werden, um einen sinnvollen Energiebetrag aufzunehmen. Wie aber sollte man diese hohe Spannung heruntertransformieren? Immerhin handelte es sich um eine Gleichspannung, so dass selbstverständlich nicht einfach ein Transformator verwendet werden konnte. Erste theoretische Lösungsansätze gingen von einer Art umgekehrten Tesla-Generator aus. Mit der Hochspannung sollten Schwingungen in einer langen Spule angeregt werden, die dann in einem resonanten Koppelkreis heruntertransformiert werden konnten.
Drahtlos schien besessen von der Idee der Blitzenergiegewinnung. Seitenweise finden sich Zeichnungen und Berechnungen nur zu diesem Thema. Er hatte schon ausgerechnet, dass eine Stadt wie München etwa 100 Blitzkollektoren brauchen würde, die man im Zentrum und in zwei konzentrischen Ringen aufstellen müsse, um das gesamte Stadtgebiet frei von Blitzeinschlägen zu halten. Die insgesamt gewonnene Energie sei nicht unbeträchtlich und betrage an einem Gewittertag bis zu ein Prozent des Energiebedarfs der ganzen Stadt. Ich habe das nachzurechnen versucht und konnte keinen Fehler entdecken.
Schließlich ging Drahtlos an die praktische Realisierung. Er verwendete dazu die gesamte Scheune neben seinem Wohnhaus, die er von einem Bauern speziell für diesen Zweck gemietet hat. Der Mietvertrag war für ein Jahr abgeschlossen und im voraus bezahlt, was ein klarer Hinweis darauf ist, dass Drahtlos keinen Misserfolg erwartete. Als erstes baute er den Hochspannungskondensator. Er verwendete dazu runde Glasflaschen mit einem Inhalt von 50 Litern, wie sie bei der Gärung von Fruchtweinen verwendet werden. Sie wurden innen und außen mit Metallfolie belegt, wobei ein beträchtlicher Teil des Flaschenhalses als Isolator frei blieb. Die Konstruktion ähnelte grundsätzlich der Leydener Flasche, wie sei bereits vor mehr als hundert Jahren als Grundform des Kondensators bekannt war. Die Isolierung war jedoch für Spannungen bis zu 800 000 Volt ausreichend. Insgesamt benötigte Drahtlos einhundert derartiger Gefäße, die mit dicken Leitungen parallel geschaltet wurden. Das ganze wurde zur Probe mit einem herkömmlichen Blitzableiter verbunden. Bei diesem ersten Vorversuch schlug noch kein Blitz ein, aber bei einem Gewitter lud der Speicher sich bereits auf über 150 Volt auf, womit die einwandfreie Isolation bewiesen war.
In einer zweiten Stufe des Projekts ging Drahtlos an die Erzeugung der Vorspannung. Er verwendete einen verbesserten van-den-Graff-Bandgenerator, der bis zu einhundert Kilovolt lieferte. Die besondere Schwierigkeit war, dass der Generator selbst am nicht geerdeten Anschluss des Hochspannungskondensators angebracht werden musste und sich im Einsatz komplett auf die gewonnene Hochspannung aufladen würde. Man konnte daher keinen herkömmlichen Motor mit 220-Volt-Anschluss verwenden. Drahtlos löste das Problem mit einem Akku und einem Auto-Scheibenwischermotor vom Schrottplatz. Der Motor des Bandgenerators konnte mit einem Lichtstrahl und einer sehr fortschrittlichen optischen Fernschalteinrichtung ein- und ausgeschaltet werden. Damit war der Ingenieur in der Lage, die Vorspannung der Anlage aus sicherer Entfernung je nach Bedarf in Betrieb zu nehmen. Eine Zeichnung verdeutlichte das Prinzip: Es war, als würde man einen riesigen Gittermast als Blitzfänger ausfahren und wieder einholen.
In diesem Stadium ging die Anlage zum ersten Mal in Betrieb, noch ohne das Transformationssystem. Es war ein schwüler Sommertag, als am Abend ein Gewitter aufzog. Drahtlos schaltete mutig den Generator ein und wartete. Bereits nach einer Stunde schlug wie erwartet der Blitz in den Kollektor ein. Die Nachbarn im Dorf rannten auf die Straße und wollten beim Löschen helfen, aber der Ingenieur konnte sie beruhigen, es sei überhaupt nichts passiert. In der Scheune konnte er eine Messung der Ladespannung durchführen. Es waren etwa 400 Kilovolt, ein voller Erfolg! Als Messgerät diente übrigens ein Folien-Elektrometer, das einfach im Abstand von drei Metern neben dem Kondensator stand, eine Anordnung, die man als ebenso einfach wie sicher bezeichnen muss.

Macht der Vorversuch Mut,
Wird die Entwicklung gut.

Die gewonnene Energie konnte noch nicht nutzbar gemacht werden. Drahtlos musste daher warten, bis sich der Speicher durch die unvermeidlichen Isolationsfehler selbst entladen hatte. Bei einer Restspannung von fünf Kilovolt half er jedoch mit einem dicken Kabel nach, was ihn beinahe das Leben gekostet hätte. Drahtlos hatte das untere Ende des Kabels nicht ordentlich am Erdanschluss festgeschraubt, sondern nur lose aufgelegt, ein Fehler, den man unbedingt vermeiden sollte, wenn man mit hohen Spannungen arbeitet. Ein Lichtbogen traf seine Armbanduhr. Zum Glück arbeitete er zu der Zeit auch an einer neuen Funkuhr, die noch eine lange Drahtantenne unter dem Ärmel benötigte. Diese leitete den Entladestrom, der an seinem Ellbogen mit einem zweiten Lichtbogen wieder austrat, weil er sich zufällig gerade auf seinen Oszillographen lehnte. Er vermerkte akribisch, dass sein Lieblingspullover am Ärmel ein 1,4 Zentimeter großes Brandloch erhielt. Der Oszillograph war danach auch Schrott, die Funkuhr sowieso.

Was im Labor niemals fehlen darf,
Ist der Kathodenstrahloszillograph.


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