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(c) P.Copper, Drahtlos

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3. Drahtlos und seine Freunde

3.1 Nachwuchsförderung

Drahtlos war offenbar immer ein empfindsamer und freundlicher Mensch. Deshalb fassten alle Kinder in seiner Umgebung schnell Vertrauen. Er war oft mit Reparaturen und Basteleien für die Kinder beschäftigt, was sich auch in seinen Notizen niederschlug. Oft ging es um eilige Reparaturen, die irgendwelche Missetaten vertuschen sollten. Einmal kam ein kleiner Junge mit dem Radio seiner Oma, das ihm vom Schrank gefallen war. Das Hauptproblem waren die alten Röhren, die nicht mehr zu bekommen waren. Die Aufzeichnungen belegen minutiös den Einbau einer Verstärkerröhre EL41 in den alten Sockel einer zerbrochenen EL11. Drahtlos notierte auch die veränderten technischen Daten und stellte fest, dass zumindest die Lautstärke nun besser sei als vorher. Oft war es aber gerade Drahtlos selbst, der für die Fehlfunktion vieler Radios verantwortlich war. Denn, wenn ich die Aufzeichnungen an einer anderen Stelle richtig deute, hat er den Kindern gezeigt, wie man mit minimalen Änderungen Frequenzbereiche verschiebt, um andere Sender als nur Rundfunksender zu hören. Ab Anfang der 60er Jahre war der Polizeifunk besonders beliebt. Auch scheint es von Anfang an immer wieder kleine Schwarzsender oder Abhörgeräte gegeben zu haben. Auch Funkfernsteuerungen auf nicht genehmigten Frequenzen scheinen in Drahtlos´ Werkstatt keine Seltenheit gewesen zu sein.

Viele der Schaltbilder und Aufbauzeichnungen belegen, dass Kinder sehr viel selbst gebaut haben, wenn sie bei Drahtlos zu Besuch waren. Es scheint so etwas wie ein kleines Ausbildungsprogramm gegeben zu haben, vom Detektorradio bis zu komplexen elektronischen Schaltungen. Offenbar ging es Drahtlos um die Förderung des technischen Nachwuchses. Er wollte Interesse wecken und Möglichkeiten aufzeigen. Sein Motto im Zusammenhang mit Basteleien aller Art lautete:

Feilen, Löten und Schrauben
Nutzt mehr als manche glauben.

Oft ist nicht klar ersichtlich, ob bestimmte Arbeiten ihm selbst oder den Kindern mehr Freude bereiteten. Anscheinend machte er da selbst keinen deutlichen Unterschied. Das legt jedenfalls der mehrmals wiederkehrende Spruch nahe:

Die Träume der Kinder
Braucht auch der Erfinder

Übrigens gibt es auch Hinweise, dass ältere Kinder oder Jugendliche bei ihm in den Ferien gearbeitet haben. Es gab anscheinend genug zu tun. Oft wurden alte Geräte demontiert, um die noch brauchbaren Ersatzteile zu gewinnen. Solche Arbeiten übertrug er gern den Kindern. In einigen Fällen entstand eine Art Tauschhandel. Bau eines Schwarzsenders zum Abhören der großen Schwester gegen drei Stunden Entlötarbeit. Oder schwierige Reparatur einer Modelleisenbahn gegen Beschaffung von vier defekten Radios mit noch brauchbaren Netztransformatoren. Auf die Weise kam es zu einem gewissen Ausgleich, denn bei einem nur flüchtigen Blick in die Aufzeichnungen von Dietrich Drahtlos hätte man zu dem Schluss kommen können, dass in seiner Werkstatt mehr gespielt als gearbeitet wurde. Das könnte natürlich leicht zu gewissen finanziellen Problemen geführt haben, auf die es in der Tat Hinweise gibt.
Andererseits wird bei einem genauen Studium der Unterlagen schnell klar, dass Drahtlos vielen Kindern eine gründliche Ausbildung in Elektronik verschaffte. Er verfolgte einen sehr praktischen Ansatz und machte ihnen Mut, schnelle Experimente auszuführen.

Wie´s funktioniert,
Ist schnell probiert

Aber auch Ziele wie Ausdauer und Hartnäckigkeit bei der Lösung schwieriger Aufgaben spielten eine große Rolle.

Oft kommt man nicht weit,
Ohne Mühe und Zeit.

Natürlich war der Bau von Geräten nicht Selbstzweck, sondern es ging auch um ihren sinnvollen Gebrauch. Selbstgebaute Geräte wie Kurzwellenradios oder Fernsteuerungen sollten ausgiebig verwendet werden.

Entwickle im Nu,
Gebrauche mit Ruh.

Auch die für ihn selbst typische Sparsamkeit brachte er den Kindern bei. Selbst große Aufgaben sollten mit möglichst einfachen Mitteln oder am besten mit kostenlosen Bauteilen vom Schrott realisiert werden.

Manch großes Ziel
Erfordert nicht viel.

Natürlich ging es ihm auch um die Sicherheit der Kinder. Die Vorsicht beim Umgang mit gefährlichen Spannungen oder anderen Gefahrensituationen spielte eine große Rolle. Kein Kind ist jemals in seiner Werkstatt ernsthaft in Gefahr geraten.

Erforsche mit Respekt,
Was in dir die Neugier weckt.

Die Kinder nannten den Ingenieur erst nur unter sich, dann bald aber auch in der direkten Anrede "Didi". Es störte ihn nicht. Allerdings hatte er manchmal Sorge, dass seine zahlende Kundschaft einen falschen Eindruck bekommen könne. Es wurde daher vereinbart, immer wenn wichtige Kunden kämen um z.B. einen Entwicklungsauftrag zu erteilen, dann sollten die Kinder "Herr Ingenieur" zu ihm sagen. Natürlich wurde das meist vergessen. Auf der anderen Seite ist es aber auch entscheidend, in welchem Zusammenhang er angesprochen wurde. Wenn zum Beispiel in Anwesenheit eines Kunden die Stimme eines Mädchens aus der Werkstatt erklang: "Didi, das Schirmgitter glüht, soll ich besser die Anodenspannung etwas erhöhen?", dann konnte Drahtlos oft einen anerkennenden Blick des Gastes nicht übersehen. Oder wenn ein zehnjähriger Junge reinplatzte und sagte: "Du musst mir unbedingt bis heute Abend den Wobbelgenerator leihen, Didi. Meine Mutter macht Ärger, ich soll das Radio wieder in den Originalzustand versetzen.", dann kam natürlich schnell der Eindruck auf, wenn hier schon die Kinder so kompetent sind, wird auch der Chef auf Draht sein.


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