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(c) P.Copper, Drahtlos

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5. Auf den Spuren des Ingenieurs

5.1 Lebendige Zeugen

Auf Urlaubsreisen, oder wenn eine Dienstreise mich an eine der Wirkungsstätten des Ingenieurs verschlägt, liebe ich es, nach Spuren seines Wirkens zu suchen. In der ländlichen Region um Stuttgart scheint es tatsächlich noch eine Erinnerung an ihn zu geben. In einer Gaststätte machte ich einmal die Probe aufs Exempel. Ich nahm mein Handy und rief zum Wirt: "Darf man bei Ihnen drahtlos telefonieren?". Sofort zuckten einige der älteren Gäste zusammen. Sie betrachteten mich mit einem irren Blick. Einer wollte auf mich losgehen, wurde aber von drei anderen mit sanfter Gewalt festgehalten. Sie redeten leise und beruhigend auf ihn ein. Ich verstand nur wenige Worte:" ... nicht der Ratlos ... nur telefonieren...". Der Wirt war schreckensbleich geworden und beeilte sich, mir sein altes Telefon hinter der Theke anzubieten.

Ganz ähnliche Reaktionen löste ich übrigens im Schwarzwald mit dem Wort "blitzschnell" aus, das mir rein zufällig herausgerutscht war. Ich lege großen Wert auf die Feststellung, dass ich nicht umherziehe, um Salz in offene Wunden zu streuen. Es ist mir durchaus bewusst, dass Drahtlos eine Schneise der Verwüstung durch das ganze Land geschlagen hat und dass es viele Menschen geben muss, die unter seinen Erfindungen sehr gelitten haben. Trotzdem gibt es aber auch durchaus positive Erinnerungen und Auswirkungen seiner Tätigkeit.
In einem kleinen Ort im Südschwarzwald stieß ich einmal auf ein seltsames Phänomen, nämlich eine Art Insel der technischen Kreativität im Stil von Dietrich Drahtlos. Als ich abends ein paar Schritte vor meiner Herberge unternahm, traf ich zufällig auf zwei Jugendliche, die an ihren Motorrollern bastelten. Erstaunt sah ich, dass statt der üblichen Zündspulen kleine Schaltungen mit Zeilentransformatoren aus PC-Monitoren eingebaut waren. Es gab offensichtlich ein kleineres technisches Problem. "Was ist denn da mit dem verschmorten Draht los? ", meinte der eine. "Muss wohl etwas warm geworden sein. Aber ich mein´, der geht noch." Ich äußerte meine Anerkennung für die technische Realisierung. Darauf sagte einer der Jungen: "Ist der Geldbeutel leer, muss Edelschrott her." Völlig überrascht antwortete ich: "Wie´s funktioniert, ist schnell probiert." Ohne Zögern und ohne das geringste Anzeichen der Verwunderung kam die Antwort: "Manch ein Prototyp steht, der nicht in Serie geht." Ich war stumm vor Staunen. Wie konnte das sein? Die Jungen waren doch viel zu jung, um Drahtlos gekannt zu haben. Da fiel mir ein, dass es sich um Söhne jener jungen Leute gehandelt haben musste, die damals zu den Freunden Drahtlos´ gezählt hatten. Sie erläuterten mir dann noch ausführlich, dass die induktive Speicherenergie zwar geringer sei als bei einer üblichen Zündspule. Sie verwendeten aber immer vier bis fünf Impulse im Abstand von etwa 40 Mikrosekunden. Dadurch käme es auch zu einer weicheren Verbrennung. Trotz der erhöhten Kompression sei der Klang der Motoren besser. Sie erreichten außerdem etwa 30 Prozent mehr Leistung und eine Reduzierung des Verbrauchs um 10 Prozent.
Wie zur Bestätigung kam in dem Moment ein etwa 13-järiges Mädchen mit dem Fahrrad an. Mir fiel auf, dass ihr Rad eine völlig neue Art von Dynamo besaß. Um die Nabe des Vorderrads waren Teile aus den Antriebsmotoren von Computer-Festplatten gebaut. Es handelte sich offenbar um eine Vielpolmaschine mit 24 Spulen und rotierenden Magneten. Ich schätzte, dass sie dafür etwa zehn Festplatten gebraucht hatte. Durch die vielen Spulen kam sie wohl ohne Getriebe aus. Das Fahrrad hatte außerdem ein kleines Radio, das auch im Stand leise Musik von sich gab. "Läuft das mit einem Akku?", fragte ich sie. Die zeigte mir eine Platine voller Goldcap-Kondensatoren, die unter dem Sattel befestigt war. "Du hast ja sogar Schottky-Dioden verwendet!", sagte ich voller Anerkennung. "Das ist man dem Wirkungsgrad schon schuldig." meinte sie mit sichtbarem Erfinderstolz. Mir fiel aber auf, dass die Kondenstoren nur bis 5,5 Volt zugelassen waren. "Bis sieben Volt passiert gar nichts", erzählte sie. "Nur wenn man mit über 40 Sachen einen Berg runterdüst und wenn dann auch noch die Lampe durchbrennt, kann schon mal der eine oder andere Elko platzen. Aber das ist egal, ich hab noch jede Menge davon. Der Schrott im Keller macht das Reparieren schneller." Ich war tief beeindruckt, dass die Ideen und Sprichworte Drahtlos´ nicht nur weitergegeben wurden, sondern sich offensichtlich sogar weiter entwickelten. Außerdem interessierte mich brennend, wie es aussieht, wenn ein Goldcap-Kondenstor explodiert. Ich kannte zwar die stinkenden Dampfwolken platzender Aluminiumelkos und die glühenden Funken berstender Tantalelkos, hatte aber mit diesem Typ noch keine Erfahrung. Sie zeigte mir einige angeschmolzene Stellen am hinteren Schutzblech und erläuterte, dass extrem heiße Graphit-Kügelchen herausgeschleudert werden. Ob das nicht eine Gefahr für den nachfolgenden Verkehr darstelle, wagte ich einzuwenden. Nur, wenn er zu dicht auffährt, meinte sie, der Typ sei selber Schuld gewesen. Mir ging die Sache trotzdem nicht aus dem Kopf, denn mich plagte noch eine weitere Sorge: Könnte durch die Kondensatoren nicht ein Waldbrand entstehen? Einen Moment lang sah sie mich erschrocken an. Dann sprang sie auf ihr Fahrrad und raste davon. Etwa auf der Höhe meiner Pension gab es eine kleine Explosion, und einige weißglühende Funken rollten über den Asphalt. Dann war das Mädchen hinter der nächsten Biegung verschwunden. Einen Moment später hörte man ein lautes Pfeifen und Zischen, und mein Wagen neigte sich vorn links etwas nach unten. Die beiden Jungs mit ihren Rollern hatten es wohl auch bemerkt, zeigten jedoch keine Regung und arbeiteten still weiter an ihren Motoren. Auch ich wollte kein großes Thema aus der Sache machen, zumal mich ein Schuldgefühl plagte, da ich das Mädchen offenbar sehr erschreckt hatte, wenn auch ohne Absicht.
Ich ging zu meinem Wagen, um das Rad zu wechseln. Gerade hatte ich das Reserverad aus dem Kofferraum befreit, da hielten die beiden Jungs mit ihren Rollern neben mir und boten mir ihre Hilfe an. Ich stellte fest, dass sie äußerst geschickt waren. Sie schafften einen Radwechsel schneller als ich den Wechsel des Scheibenwischers. Ich fragte, ob sie zufällig Automechaniker wären. "Nö, das nicht", meinte der eine, "aber man hilft ja gern." Offenbar hatten sie schon sehr viel Gelegenheit zur Hilfe gehabt. "Ganz schön abgefahren, der Reifen. Da haben Sie echt Glück gehabt, dass er nicht bei voller Fahrt geplatzt ist." Ich fand das Profil eigentlich noch recht gut. Nur eine verbrannte Stelle störte etwas. Ich bedankte mich herzlich bei den Jungen und bot ihnen etwas Geld an. Sie lehnten es aber entschieden ab. Ob ich die Antenne da im Kofferraum noch brauche. Ich gab sie ihnen gern, denn sie erinnerte mich schon seit Jahren daran, dass ich meine Radioantenne wechseln wollte, aber an den technischen Schwierigkeiten gescheitert war. Ich konnte den Ausbau dann umgehen, indem ich einen dicken Draht als Schiene in die gebrochene Antenne schob. Das ganze lässt sich jetzt nicht mehr hineinschieben und wurde schon dreimal in der Waschanlage abgeknickt. Bis jetzt konnte ich die Antenne aber immer wieder zurechtbiegen. Die neue Antenne wurde dagegen gerade von einem der Jungen prüfend an den Scheinwerfer seines Rollers gehalten.
Am nächsten Morgen wollte ich mich um den Reservereifen kümmern. Der Mann an der örtliche Tankstelle sagte mir, eine Reparatur sei nach seiner Erfahrung bei Schäden dieser Art nicht möglich. Er empfahl mir, gleich zwei neue Reifen zu nehmen, er habe sogar zufällig die passenden da. In der Werkstatt sah ich ein riesiges Lager neuer Reifen der unterschiedlichsten Fabrikate. Als der Wagen fertig war, entschloss ich mich zur Abreise. Nahe des Dorfes machte ich noch eine weitere Entdeckung. Die Straße hatte an einer Stelle starkes Gefälle. An der steilsten Stelle sah man rechts die Spuren eines nicht allzu lange zurückliegenden Waldbrandes. Die Feuerwehr hatte aber sehr gute Arbeit geleistet oder schon fast am Einsatzort bereitgestanden, denn es gab nur etwa zwanzig völlig verkohlte Bäume.


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