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Kurzgeschichte


Nelli Copper erzählt

Damals, als der Sinterofen platzte...

Diese Erzählung gelesen von Mareike R. (dietrich.mp3, Größe 4 MB)

Piet meinte, alle wollen wissen, wo eigentlich das Titelbild von seinem Buch herkommt, und dazu sollte ich mal was sagen. Also gut, das erzähle ich gern. Das Bild stammt aus meiner Erinnerung, ich sehe es noch vor mir wie an jenem Tag, damals als der Ofen explodierte, in der Werkstatt von meinem Freund Dietrich Drahtlos. Ich hab später mal ganz grob aufgemalt, wie es da aussah. Piets Kollege hat dann eine richtige Zeichnung draus gemacht. Also, Didi ist nicht ganz getroffen, aber so ähnlich sah er damals tatsächlich aus.

An dem Tag hatte ich das Gefühl, ich müsste mal wieder nach ihm sehen. Na gut, ich geb´s ja zu, ihr wisst es ja sowieso schon, damals war ich in Dietrich verknallt. Aber das hatte nichts damit zu tun. Es war nur so, dass er manchmal so viel gearbeitet hat, dass er fast umgefallen ist. Oft hatte er nicht mal Zeit etwas zu essen. Manchmal sah er ganz schwach und elend aus, nur seine Augen, die funkelten immer, man konnte praktisch die Ideen hervorschießen sehen. An dem Tag war er auch mal wieder ohne Pause bei der Arbeit. Aber als ich reinkam, sah ich, dass er sich wenigstens ein Butterbrot gemacht hatte. Er wartete gerade auf irgendwas und sah eigentlich ganz entspannt aus.
Gleich im ersten Moment stieg mir ein seltsamer Geruch in die Nase. "Was machst du denn hier? Hast du eine Würstchenbude aufgemacht?" "Nein," sagte er, "das kommt aus dem Sinterofen, ich teste es gerade mit Rapsöl." Er erzählte mir von seinem Projekt, es hatte irgendwas mit Keramik und Supraleitung zu tun. Jedenfalls röstete er irgendeine seltsame Probe in seinem Ofen. Das Ding hatte er selbst gebaut, ich kannte es schon. Die eigentliche Ofenkammer war elektrisch beheizt und mit einem Regler ausgestattet. Weil aber die nötige Temperatur so nicht erreicht werden konnte, hatte er zusätzlich einen Gasbrenner angebracht. Mit dem Brenner wurde die meiste Wärme zugeführt, die elektrische Heizung diente zur Feinregelung.
Wir unterhielten uns eine Weile über seinen Versuch, aber viel weiß ich nicht mehr davon, denn das meiste habe ich nicht verstanden. Er war immer noch ganz locker und sehr zuversichtlich, dass diesmal alles klappen würde. Aber plötzlich kamen seltsame Geräusche aus dem Ofen. Zuerst war es nur ein leises Zischen, dann wurde es lauter und steigerte sich zu einem Pfeifen. Didi wurde nervös und starrte gebannt auf den Ofen. Plötzlich kam auch noch ein dumpfes Rumpeln dazu. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich in Richtung Entsetzen. "In Deckung!" schrie er und schob mich schnell hinter seinen Blechspind. In dem Moment gab es einen ungeheuren Knall. Teile flogen durch die Luft, Sachen fielen aus den Regalen, ein Fenster zersplitterte. Dann hing ein beißender Rauch in der Luft, der aber durch das kaputte Fenster schnell abzog.
Didi hatte auf den ersten Blick nichts abgekriegt. Aber er war ganz wackelig auf den Beinen und stand offensichtlich unter Schock. Ich wusste nicht, ob er vielleicht doch verletzt war. Deshalb nahm ich ihn am Arm und zog ihn zu der Holzbank, die in der hinteren Ecke seiner Werkstatt stand. Er setzte sich auch hin, aber ich musste ihn etwas stützen. Dann sank er förmlich in sich zusammen, ich musste ihn festhalten, damit er nicht von der Bank fiel. Plötzlich war er völlig weggetreten. Sein Kopf lehnte an meiner Schulter, ich hatte meinen Arm um ihn gelegt, damit er nicht ganz umkippte. Ich war mir nicht sicher, war es totale Erschöpfung, war es die Enttäuschung über das fehlgeschlagene Experiment, oder war es die Folge der Explosion selbst? Aber ich konnte seinen Puls fühlen, der war in Ordnung. Und sein Atem ging auch ganz gleichmäßig. Sonst hätte ich natürlich sofort einen Arzt gerufen. Aber so dachte ich, der Mann braucht einfach ein bisschen Ruhe und Schlaf.
So ging es eine ganze Zeit, er lehnte an meiner Schulter und schlief. Derweil schaute ich mich im Labor um. Es hatte mehr Schäden gegeben, als man im ersten Moment erkennen konnte. Einige Splitter hatten ihre Spuren hinterlassen. Sein Sinusgenerator war voll getroffen, etwas war mitten durch die Skala geschlagen und hatte ein großes Loch gerissen. Am nächsten Tag hab ich ihm beim Aufräumen geholfen. Da fanden wir alle Röhren in dem Gerät bis auf eine zerschmettert. Auch der Oszillograph war angeschlagen, ließ sich aber wieder reparieren.
Irgendwann, nach einer halben Stunde oder so, war ich mir gar nicht mehr ganz sicher, ob er wirklich noch schlief, oder ob er einfach nur meine Nähe brauchte. Sein Kopf lehnte immer noch an meiner Schulter, seine linke Hand lag wie zufällig auf meinem Schoß. Ich fühlte mich wohl an seiner Seite, so schön war es nie vorher mit ihm und auch nie wieder danach. Glückliche Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Am liebsten hätte ich ihn gleich da auf der Bank ..., aber das sag ich lieber nicht.
Dann wurde er plötzlich unruhig. Erst blinzelte er mit den Augen, dann richtete er seinen Kopf auf. Er sah mich verwundert an, sah dann seine Hand auf meinem Schoß, wurde rot und zog sie ganz schnell weg. Ganz langsam richtete er sich auf und sah sich um. Kein Ton kam über seine Lippen. Dann fiel sein Blick auf die Reste des Sinterofens und wurde ganz starr. Irgend etwas schien seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Ich glaube, er musste erst wieder ganz zu sich kommen. Aber dann sprang er plötzlich auf, suchte nach einer Zange und stocherte in den Trümmern rum. Plötzlich hob er triumphierend ein kleines rundes Ding hoch und rannte damit hektisch hin und her. Dann nahm er einen großen Magneten und begann mit irgendwelchen Versuchen. Das ganze Chaos im Labor störte ihn überhaupt nicht, er war wieder ganz der alte. Und mich hat er überhaupt nicht mehr gesehen.

Der Mistkerl!



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